Russland 12.09.-22.09.2000 - kleiner Tourbericht. Abfahrt Di 12.9. mit der Aeroflot nach Moskau. Besser, ein gültigen Reisepass dabei zu haben, aber Glück tut´s auch... Aeroflot ist die absturzsicherste Fluglinie, was aber hauptsächlich für die Inlandflüge gilt, diese sollen lustig sein (www.flugzeug-absturz.de); der unsere war ganz locker. Der Service (Essen, Trinken) war Spitze. Ankunft mit 2 Stunden Zeitverschiebung in Moskau. Wir wurden von drei Russen erwartet, die uns per Auto (Marke Wolga - Spitzenautos aus RU!) in die Stadt fuhren. Zwei waren von der Band DISTEMPER (später mehr), die dritte, Natascha begleitete uns durch das Gewirr Moskaus zum Geldwechseln, Fressen, Saufen, Gucken ... Moskau ist relativ teuer, ca. das doppelte, wie restliches RU. Bier in Kneipen in der Innercity 2-3 DM. Kippen zwischen 2 (Marke Prima, wie Gauloises ohne Filter) und 40 Rubel, quasi zwischen 0,15 und 4 DM. Der Rubelkurs lag bei ca. 12R / DM. Die Stadt vermittelt ungefähr den Eindruck einer normalen internationalen Großstadt mit allen Hochs und Tiefs, war daher nicht sonderlich interessant für mich, der Menschenmassen nicht mag. Viel Zeit blieb uns an diesem Tage nicht, denn unser Zug nach Smolensk fuhr nachts um 11h. Wir probierten unser klägliches Russisch zum Pivo kaufen und waren mit unserer englischkundigen Führerin Natascha sehr gut dran. Im Schlafwagen nach Smolensk haben wir uns mit mehreren Russen unterhalten, die allesamt ungewöhnliche Geschichten über die Nachkriegszeit in Deutschland zu erzählen hatten. Natürlich gab es Kommunikationsschwierigkeiten, aber Alkohol beseitigte dies. Am Morgen gab´s von der Zugbegleiterin Kaffee für nur 5 Rubel. 13.9. Smolensk 7 Uhr morgens. Kalt. Der Geruch von Braunkohle beisst in der Nase. Per Bus und zu Fuß zum ersten Veranstaltungsort, das »Cyclon B«. Später gingen wir ein bisschen durch Smolensk spazieren, das einen etwas verlassenen und verschlafenen Eindruck hinterließ, was aber an der allgemein so großzügigen Bauweise, die typisch für russische Städte ist, lag. Am Strassenrand gab´s Frauen, die leere Flaschen um sich scharten, Menschen, die uns an alte Filme aus dem ländlichen Milieu erinnerten; es erschien uns, wie eine Stadt aus den 50er oder 60er Jahren. Keine Stadt wie Moskau, die Touristen gewohnt ist. Nachmittags kurz Schlaf, dann warten auf den ersten großen Moment. Es sollten
7 Bands spielen. Wir zum Schluss. Warten. Die Veranstaltung
war sehr genau zeitlich durchkalkuliert, daß ein paar Bands
sogar quasi von der Bühne gedrängt wurden, als ihre Zeit um
war. Es gab einen Moderator, der in solchen Momenten hart
durchgriff. Obendrein war eine Ordnercrew (ca.15! Leute) eingesetzt,
die angeblich neu war und aus entlassenen Soldaten aus dem
Tschetschienkrieg bestand. Sie zogen drei pogende ca. 15jährige
brutalst aus dem Publikum. Kein schöner Anblick. Wir wurden
von einem Fernsehteam interviewt, befragt über Eindrücke in
Russland, was wir darstellen usw. 14.9. früh um 8 Uhr in Moskau trafen wir auf den Initiator Alex, der uns auf dem Plastic-Bomb-Sampler zum ersten Mal hörte, wodurch der Kontakt zustande kam. Wir zogen kurzerhand in ein Hotel, um mal kurz zu schlafen, dann ging es ab in den R-Club, 2. Auftrittsort. Schnell noch was essen im westlichen Stil, quasi teuer und hungrig bleiben. Wir konnten auch zum ersten Mal die so hochgeschätzte Moskauer U-Bahn bewundern. Man kann zwar nicht sagen, dass jeder Bahnhof ein Museum darstellt, aber wenigstens fahren die wirklich alle 1-2 (!) Minuten. Kein Warten! Der Abend samt Auftritt gestaltete sich eher als Debakel: es kamen kaum Leute und wir spielten auch scheiße. Jedenfalls gab´s Bier umsonst. Die erste Alkoholleiche: im Hotel nach geselligem Beisammensein mußte Adrian ins Bett getragen werden... 15.9. früh aufstehen, Moskau anschauen. Kaffeetrinken im McKotz. Dann der Rote Platz. Überall Pseudotouristenfänger.Die Basilika, das bunteste Häuschen vor Hundertwasser. Leider war der tote Lenin nicht zu sehen, der Laden hatte geschlossen. Museum besucht von Steinzeit bis Moskau. Der gute Adrian machte weiter, wo er am Vortag aufhörte und entschied sich in eine Kirche einzukehren, der Ruhe halber. Wir ließen ihn 3 Stunden allein, was er zum »betrachten« des Roten Platzes nutzte. Er und seine Getränke. Doch die in Moskau so zahlreichen Bullen ließen ihn noch mal ziehen. Wir hatten sowieso den Eindruck, daß in Moskau jeder dritte Mann Bulle sein mußte, es waren derer ein paar zuviel. Auch Denis machte eine neue Erfahrung: er wurde von einem »Milizioner« aufgehalten und weil er keine gültige »Aufenthaltserlaubnis« (vom Hotel bekommt man so etwas, solange man dort eingecheckt ist) hatte, zahlte 100R »Strafe« und war wieder frei. Wir mußten Adrian kräftig stützend zurückfahren und unser Gepäck holen. Zurück zum R-Club. An diesem Tag spielten ein paar andere Bands und prompt war der Laden voll. Unter anderem STEINKOPF, eine russische Band, mit einer Toxoplasmacoverversion. In RU scheint gerade der alte Deutschpunk sehr beliebt zu sein, erklärte uns der Sänger danach. DISTEMPER und SELLAFIELD, eine schwedische Punkband spielten auf. Fast hätten wir auch noch mal auftreten können, doch gab es ein Zeitlimit für den Veranstalter. Im gesamten war dies ein sehr lustiger Abend, wir lernten viele Leute kennen. Er endete in einer Busfahrt nach Bryansk. Alle Bands samt Begleitpersonen, insgesamt rund 30 Leute fuhren mit und es wurde richtig gefeiert. Der Held dieses Abends hi eß Sebastian, er unterhielt den halben Bus allein und wegen ihm durfte dieser auch öfter als nötig halten...
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16.9., sehr früh, ich noch nicht ganz bei Sinnen,
in Bryansk angekommen. Wir wurden in Grüppchen aufgeteilt und
ließen unsere Instrumente passenderweise in einem Laden für
Musikalien stehen. So kamen wir bei unseren Gastgebern unter.
Roffel, Adrian und ich bei einer knapp 18jährigen Psychologiestudentin
namens Jana, die nebenbei auch modelte. Sebastian und Carsten
bei Sergej, dem Ökologieinspektor Bryansks, auch Punkrocker
und Bandmitglied »7TEEN«s. Denis und Kathrin bei Alex, einem
Bauingenieur. Dann trennten wir uns erstmal, gingen zur Ruhe
zu unseren Gastgebern. Nachmittags Frühstück im »Akwarium«,
einer Studenten- und Bikerkneipe. Billig: ein Cafe + Pivo 10
Rubel, keine ganze Mark. Danach zum Veranstaltungsort, zur »Grand
Freak Show«.
Ein Kino mit Bestuhlung und Platz für ca. 400 Leute. Statt der Leinwand war eben die Bühne ca. 2x 10m. Vor dem Laden wurden wir schon von lauter jugendlichen Besuchern umzingelt »Awtograf«... Die waren alle wahnsinnig oder wir wurden verarscht. Weiß man´s? Dann wieder warten, trinken, nervös. Diesmal mußten wir gut sein. Denis kam an, meinte sein Hals wäre zu, er wäre krank. Der erste böse Erkältungsfall. Roffel, die Mimose, hustete und schnupfte sowieso eigentlich immer, fiel nicht mehr auf. Aber es traten bei uns allen dann so nach und nach Erkältungen auf, wir waren im Grunde alle Weicheier, nichtsdestotrotz wurde dann gespielt. Auffällig war an den Konzerten mit vielen Bands, wie hier auch ca.7 (STEINKOPF, DISTEMPER, SELLAFIELD, 7TEEN, die auch Fußball Ficken Alkohol coverten u.a.), dass es nur kurze Pausen gab. Einstöpseln, kaum Soundcheck, los ging´s. Nicht diese Eitelkeit von wegen »mein Verstärker ist der beste und kein anderer darf ihn benutzen« oder so ein Scheiss, ruck zuck, alles war Punkrock. Schrecklich waren die Kinder aus der ersten Reihe, die noch irgendwelche Autogramme wollten, bevor wir überhaupt begannen. Ich verstand nicht, woher diese Begeisterung für uns stammte. Aber endlich los. Irgendwie ferngesteuert, mit dem durch Raum und Kopf hallenden autozynischen musikalischen Humbug und dem wahnsinnigen Publikum, lief der Auftritt wie ein Film durch den zerebralen Nebel ab. Ein Zustand zwischen Kater und Dauerrausch. Es verschwamm die rationale Gedankenwelt zu einem zeitlosen wo-was-wie-warum. Kauft Hirn No.1! Es ging wie in Smolensk volle Kanne ab. Irgendwer hielt ein Spruchbanner »Bavaria Oi« hoch. Knaller auch diesmal »otschi tschornie«. Wie gewohnt, riss mir eine Saite (in Smolensk auch). Es war bis auf paar Hitlergrüsse ein äußerst gelungenes Konzert. Das obskurste, an dem ich jemals beteiligt war. Den Rest des Abends wurde sich mit Russen unterhalten und gefeiert. Endlich waren wir von unserem musikalischen Unvermögen befreit... Kleine Anekdote noch von diesem Abend, bevor wir auftraten: Ich befand mich gerade auf dem Rückzug vom Urinal, als man mich irgend etwas fragte, was ich natürlich nicht verstand. Prompt wurde ich als Ausländer und dadurch wohl als ein Bandmitglied entlarvt, was zur Folge hatte, dass mich eine Menschentraube umringte und mich zuschnackte, das ein Entkommen nicht mehr möglich war. Ich wurde zum Glück zufällig von jemand, der mich schon kannte gerettet und nutzte sein Eingreifen zu einer rasanten Flucht. Jaja. Tags drauf wurde in Bryansk die Befreiung von den Deutschen 1943 gefeiert; das glich einem Volksfest, wo traditionelle Folkloreensembles aufspielten in ihren Kostümen. Meinem Faible für russische Folklore wurde etwas nachgekommen... Wir lernten Janas Bruder Kosta und später auch Pasha und Aleksej von der Band TEATR TENEJ (Theater des Schattens) kennen, von denen wir sehr beeindruckt sind. Sehr spacige angenehme Musik. Wer was hören möchte, Tape gibt's bei mir. Die restlichen Tage waren insgesamt etwas ruhiger, da keine Konzerte mehr anstanden und so lernten wir auch unsere Gastgeber und die Schweden von SELLAFIELD (die jetzt als The Pushers wieder unterwegs sind!) besser kennen. Wir feierten ausgelassene Partys, spielten Brachialfußball, fuhren Riesenrad (»bitte nur jede dritte Gondel besetzen...«) und haben wahnsinnig gut gegessen. Erstaunlich ist es, daß so reichhaltig und vielfältig aufgetischt wurde, daß man es gar nicht schaffen konnte und es schmeckte hervorragend. Zwischendurch immer wieder ein »chutchut« (wenig) Vodka begleitet von einem Trinkspruch. Mit Vodka s perzem (mit Pfeffer) könnte man locker der Alkoholsucht verfallen... Russische Lieder voller Leben und Melancholie wurden gesungen. So etwas bietet die deutsche Folklore gar nicht. Weiter unten beschreibt Denis das Gefühl, das uns befiel, besser. Unsere Gastgeber begleiteten uns quasi immer, waren immer bereit. Wir müssen sie schon irgendwie dafür bewundern, daß sie uns die ganze Zeit aushalten konnten. Aber die Atmosphäre dort unterscheidet sich deutlich von der westlichen; es gibt diese menschliche Kälte und Gleichgültigkeit nur oberflächlich, gegenüber Fremden in der U-Bahn zB., und nicht, wenn man sich kennt oder Gästen gegenüber; es gibt keinen, wie in Deutschland üblich, Austausch von kleinen oder größeren Arschcharakteranteilen. Es herrscht eine unglaubliche Warmherzigkeit vor trotz der Armut und den spärlichen Zukunftsperspektiven. Der letzte Tag. Am 20.9. wurde zum Abschied sich noch einmal getroffen, für Umtrunk und Tränen, nein, es wurde mehr gelacht; danach waren wir zum ersten Mal auf uns allein gestellt. Es hat funktionierte sogar. Mit Zug, U-Bahn und Bus zurück zum Moskauer Flughafen Scheremetjewo. Der Flug war schrecklich, weil ich leicht verkatert war, aber dafür durfte ich mich wenigstens dann am Zoll kontrollieren lassen... Hardy |
Auf viele Menschen, die aus dem Westen kommen,
würde Rußland anfangs einen traurigen und unangenehmen Eindruck
machen: die Luft stinkt und ist kalt; die Vorbeigehenden auf
den riesigen Strassen sehen nicht freundlich und gut gelaunt
aus; alle Maschinen und Apparate, die man irgendwo erblickt,
sind vom Zerfall gezeichnet; es gibt keine »gemütlichen« Geschäfte
und Läden an jeder Ecke, wo man etwas kaufen könnte - keine
bunte Schaufenster, die einem das Gefühl von Sicherheit geben;
das Essen in Restaurants und Schnellimbissen ist immer kalt
und schmeckt schlecht, Toiletten stinken, sind dreckig und fast
auf keiner kann man Klopapier finden ... Bei einem Zugticketkauf
oder einer Hotelzimmerbuchung muß man seinen Ausweis vorzeigen;
überall stehen Menschen in Uniformen - Polizisten, »Security«
- Männer und Beamten mit ausdruckslosen Blicken - das erinnert
an Szenen aus vielen Filmen, Szenen die man einst für amerikanische
Propaganda hielt... Manchmal, bei einem Spaziergang durch die
Stadt, tauchen im Blickfeld kleine bunte Kirchen auf, die an
Spielzeuge erinnern - sie sehen so verloren aus zwischen den
monströs großen Wohnklotzen, entlocken aber trotzdem ein Lächeln....
Dann stellt man fest, daß für einen Menschen aus dem Westen
alles sehr billig ist, und daß die U-Bahnen alle 40 Sekunden
fahren - und das freut viel mehr....
Das kann ich über Rußland sagen wenn ich erkältet, hungrig, mißgelaunt und schläfrig auf einer großen Strasse in Bryansk stehe. Aber ich habe ganz anderen Eindruck von Rußland, wenn ich mit den Russen, die mich empfangen haben, zusammen bin - die im Gegensatz zu den Deutschen nicht geizig (trotz der Armut) und steif sind: sie geben mir heißen Tee und hochprozentigen Wein, legen mir schnurrende Katzen in den Schoß und küssen mich; sie singen mir Lieder vor, verlangen von mir Trinker-Lieder zu singen (leider kenne ich keine); sie geben mir viele kleine Geschenke, füllen immer wieder mein Glas mit Wodka und decken den Tisch mit leckerem Essen... Benommen von offenen Blicken, starken Umarmungen, Pfefferwodka und lauten Stimmen, sinke ich in einen gemütlichen Halbschlaf, und glaube wieder - nach langer Zeit, in der ich mich vor den kühlen deutschen Augen zu verstecken versuchte, daß es schön ist unter Menschen zu sein. Denis Dank von AUTOZYNIK an die Nataschas, Jana, Janas Eltern, Sascha, Marina, Alex, seine Mama, Denis, Sergej, Juri, den Mann, der mir das wahnsinnige Feuerzeug schenkte (hält ein Leben lang), TEATR TENEJ: Pasha, Kosta und Alexej, DISTEMPER, STEINKOPF, 7TEEN, und auch an die Schweden SELLAFIELD: Pelle, Didde, Lenny und alle, deren Namen wir vergessen haben.
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